Das Lieferkettengesetz kommt – Maßnahmen zur Umsetzung in die Praxis
Seit geraumer Zeit begleiten wir die Entwicklungen und Diskussionen um die Einführung des Lieferkettengesetzes für Sie in unseren Veröffentlichungen. In der vorliegenden Sonder-Ausgabe aus unserer „Einblick“-Reihe möchten wir für einen offensiven Umgang mit dieser Herausforderung werben. Dazu skizzieren und konkretisieren wir einen den entstehenden Anforderungen gerecht werdenden Management-Ansatz für die Praxis, die zugehörigen Eckpfeiler und ebenso das notwendige Instrumentarium.
Im Jahr 2016 beschloss die Bundesregierung einen „Nationalen Aktionsplan“ (NAP) zur Umsetzung der 2011 festgelegten „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“. Die logische Konsequenz daraus ist das nun im Übrigen auch auf europäischer Ebene angestrebte Gesetz zur konsequenten Einhaltung von Menschenrechten auf jeder Station weltweiter Lieferketten. Logisch insbesondere deshalb, weil die Defizite des Großteils der deutschen Unternehmen im Umgang mit der bislang freiwilligen Selbstverpflichtung erheblich und offenkundig sind1,2 – ebenso wie Berührungsängste und Ratlosigkeit.
Paradigmenwechsel als Chance zur Differenzierung
Dabei übersehen die meisten Unternehmenslenker offenbar die Chance zur Differenzierung und Erzielung eines wesentlichen Wettbewerbsvorteils auf diesem Gestaltungsfeld. Immerhin 42 Firmen unterschrieben im Dezember 2019 eine Petition für die Einführung eines Lieferkettengesetzes3 – mit gewiss handfesten betriebswirtschaftlichen Argumenten.
Management der Lieferkette in kleinen und mittleren Unternehmen als Herausforderung
Abseits der politischen Auseinandersetzungen und Detailgestaltung der gesetzlichen Regelungen gehen wir davon aus, dass die von den Unternehmen geforderten Maßnahmen, wie zuletzt zugesagt, tatsächlich „verhältnismäßig und zumutbar“ sein werden.
In der Praxis jedoch wissen Unternehmen heute mehrheitlich vermutlich überhaupt nicht, welche Missstände in ihren Lieferketten existieren, weil diese verästelt sind und bisweilen über eine bis zu zweistellige Anzahl von Gliedern reichen. Und bislang hat auch niemand die Firmen gezwungen, ihre Produktion und Organisation auf die Beantwortung dieser Fragen hin auszurichten.
Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung einen Managementansatz zu entwickeln, der effektiv wie effizient ist.
Nachhaltiges Lieferantenmanagement als Management-Ansatz
Die tatsächlich notwendigen, grundlegenden Maßnahmen sind aber keine Hexerei. Im Rahmen eines pragmatischen Ansatzes plädieren wir darüber hinaus für den stufenweisen Auf- und Ausbau eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements.
Konkret benötigt wird ein Konzept, dass sicherstellt, dass das Unternehmen Risiken erkennt, die eigene Sorgfaltspflicht erfüllt und Beeinträchtigungen der Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Lieferkette verhindert. Zentrale Elemente eines solchen Konzeptes sind Transparenz und Berichterstattung über die Wahrnehmung der eigenen Sorgfaltspflichten. Diese betreffen dabei die gesamte Geschäftstätigkeit eines Unternehmens, also die Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung.
Daraus lassen sich die grundlegenden Eckpfeiler des Konzeptes bereits bestimmen.
Bausteine für die Praxis
Baustein 1: Gestaltung einer eigenen, offiziellen Leitlinie. Bekenntnis zu Prinzipien und deren Einforderung von Geschäftspartnern
Die UN-Leitprinzipien können bei der Festlegung der eigenen Leitlinien Orientierung geben, genauso wie Menschenrechtsschulungen Sensibilität für das Thema in der Belegschaft fördern.
Unternehmen, die im Ausland produzieren oder aus dem Ausland importieren, können in die Vertragsbedingungen mit ihren Zulieferern die benannten Umweltstandards, Arbeitsnormen sowie Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften aufnehmen.
Baustein 2: Risiken in Lieferketten identifizieren und analysieren
Voraussetzung für den Aufbau eines effektiven Lieferkettenmanagements ist die Identifikation der tatsächlich relevanten Nachhaltigkeitsthemen. Dies gilt für alle Direktlieferanten (tier-1) und – für besonders relevante Produkte bzw. Warengruppen – die entsprechenden Vorlieferanten (tier-n) sowie ggf. für die gesamte Lieferkette.
Folgende Fragen sind u. a. dafür zu beantworten:
- Welche Rohstoffe/Materialgruppen haben die höchsten Einkaufsvolumina?
- Welche sind von strategischer Bedeutung?
- Wie transparent sind die Lieferketten der wichtigsten Rohstoffe aktuell?
- Gab es in der Vergangenheit Vorfälle bezüglich der Nichteinhaltung von Nachhaltigkeitsstandards bei Lieferanten/Branchen/Regionen?
- Welche Kriterien werden im Rahmen der Lieferantenauswahl angelegt?
- Wie werden Lieferanten bisher auf unternehmenseigene Standards verpflichtet (z.B. AGB, Einkaufsbedingungen)?
- Wie erfolgt das Monitoring (z.B. durch Vor-Ort-Besuche)?
- Welche Anforderungen werden seitens des Gesetzgebers, der eigenen Kunden und ggf. weiterer Stakeholder gestellt? Werden konkrete Nachweise oder externe Assessments bzw. Audits gefordert?
Die Risikobewertung kann sich danach auf die Lieferketten fokussieren,
- bei denen bereits Hinweise auf Unstimmigkeiten vorliegen (z.B. veraltete Zertifikate, Qualitätsprobleme, Stakeholderanfragen, bekannte Vorfälle – auch bei Wettbewerbern),
- bei denen keine bzw. wenig Transparenz herrscht oder ein Risiko vermutet wird,
- die strategische Relevanz (z.B. hohe Einkaufsvolumina, produktionskritische Materialien) haben.
Baustein 3: Lieferanten informieren und priorisieren
Ein transparenter und offener Umgang mit dem Thema fördert Verständnis und damit Akzeptanz im partnerschaftlichen Miteinander. Ein Schreiben aus der Geschäftsführung und ein separater Bereich für das Thema auf der Unternehmenswebseite unterstreicht die Bedeutung. Lieferpartner – auch neue Lieferpartner – sollten verstehen und akzeptieren
- wie Nachhaltigkeit definiert wird,
- warum (neue) Forderungen gestellt werden,
- was vom Lieferanten erwartet wird und wie er profitieren kann (Aufzeigen des Business-Case: Belohnung, z.B. Preferred-Supplier-Status, Langzeitperspektive, Auszeichnung etc.),
- was passiert, falls die Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden.
Es wird bei einigen Materialgruppen zwangsläufig notwendig werden, auch Vorlieferanten (tier-2 bis tier-n) entlang der Lieferkette zu kennen und einzubinden. Diese zu kennen und auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards zu verpflichten bzw. zu überprüfen ist eine Herausforderung und setzt intensive Zusammenarbeit mit den Direktlieferanten voraus.
Baustein 4: Lieferanten bewerten und monitoren
Zwei Bewertungsansätze haben sich dafür bewährt: die Lieferantenselbstauskunft und Vor-Ort-Gespräche. Als dritte Möglichkeit bieten sich ggf. Branchenlösungen an, die, wo verfügbar, erhebliche Vorteile aufweisen können.
Mit der Lieferantenselbstauskunft wird, basierend auf dem Verhaltenskodex oder auf definierten (Nachhaltigkeits-)Standards der Branche, versucht, von allen priorisierten Lieferanten mit hohem und mittlerem Risiko den Erfüllungsgrad der definierten Nachhaltigkeitsstandards zu ermitteln. Abgefragt werden in regelmäßigem Turnus Beschreibungen der Managementansätze zur Einhaltung der geforderten Nachhaltigkeitsstandards sowie konkrete Belege wie ISO-Zertifikate, Qualitätssiegel oder Nachhaltigkeitsberichte.
Bei ausgewählten Lieferanten mit erhöhtem Risikopotenzial kann zusätzlich eine Überprüfung vor Ort sinnvoll bzw. notwendig sein. Diese kann stichprobenartig bei Vor-Ort-Besuchen erfolgen, z.B. im Rahmen von Produktdemonstrationen oder Qualitätsaudits. Es lassen sich die Angaben der Lieferantenselbstauskunft überprüfen und Eindrücke über die Arbeitsverhältnisse und die Managementpraxis gewinnen.
Auch wenn dabei – aus Zeit- und Qualifizierungsgründen – kein vollständiges, eigenständiges Nachhaltigkeitsaudit möglich ist
Wie darüber hinaus umfassende Nachhaltigkeitsaudit erfolgen können, kann mit dem Lieferanten abgestimmt werden. Dieser kann unter Umständen auch aufgefordert oder verpflichtet werden, ein Audit durch einen unabhängigen Auditor durchführen zu lassen und anschließend den Auditbericht bzw. die Zertifizierung zur Verfügung zu stellen.
Neben der selbstständigen Durchführung einer Lieferantenbewertung kann diese auch im Rahmen einer Branchenlösung oder mit Hilfe branchenübergreifender Lieferantenplattform durchgeführt werden.
Baustein 5: Korrekturmaßnahmen begleiten, Lieferanten entwickeln
Werden Abweichungen vom Verhaltenskodex sichtbar, ist wichtig, zu wissen, wie schwerwiegend die Abweichungen sind, welche Maßnahmen umgesetzt werden müssen und wie viel Zeit dem Lieferanten zugesprochen wird, den Missstand zu beseitigen.
Die Werkzeuge dazu befinden sich regelmäßig in der Toolbox für das Lieferantenmanagement und bestehen aus dem Festlegen und Begleiten von Korrekturmaßnahmen, der Definition von Anreizen und Eskalationsprozessen sowie der kontinuierlichen Überwachung und Entwicklung der Lieferanten.
Schlüsselfaktoren sind hierbei Ziele, Kennzahlen und personelle Kapazitäten.
Baustein 6: Fortschritte messen und berichten
Um den Status, die Fortschritte und letztlich auch die Effektivität der Maßnahmen zu berichten, sollten zunächst z. B. folgende Fragen beantwortet werden:
- Haben alle relevanten Direktlieferanten den Verhaltenskodex erhalten bzw. unterzeichnet?
- Liegt in den wichtigsten Lieferketten ausreichend Transparenz vor?
- Wie viele Lieferanten konnten ihre Nachhaltigkeitsleistung verbessern?
- Sind die Einkäufer geschult und in der Lage, auf Basis von Selbstauskünften, Vor-Ort-Besuchen und Auditberichten fundierte Entscheidungen zu treffen?
Um aktuell und in Zukunft die Fortschritte messbar und vergleichbar zu machen, ist der Aufbau eines Kennzahlensystems notwendig. Aussagefähige Kennzahlen können sein:
- Anzahl/Anteil der Lieferanten,
- die ein Umwelt-, Arbeitssicherheits- und/oder Qualitätsmanagementsystem vorweisen können,
- die in Risikoländern produzieren,
- die vertraglich auf den Verhaltenskodex verpflichtet wurden,
- die eine Lieferantenselbstauskunft eingereicht haben,
- die von eigenen Mitarbeitern besucht und hinsichtlich Nachhaltigkeitsaspekten sensibilisiert wurden,
- die TfS-Audits bzw. ein anderes Nachhaltigkeitsaudit absolviert haben (mit Haupt- oder Nebenabweichungen).
- Anzahl beendeter Geschäftsbeziehungen aufgrund von Abweichungen.
- Anteil der eigenen Einkäufer, die zu Nachhaltigkeit in Lieferketten geschult wurden
Befinden Sie sich auf dem Weg zu Nachhaltigem Lieferantenmanagement?
Ob Unterstützung beim Auf- und Ausbau des Management-Ansatzes oder bei der Auswahl und Implementierung digitaler Lösungen auch in diesem Bereich, wir als ADCONIA stehen Ihnen gerne mit unserer Expertise im Bereich Lieferantenmanagement, Digitalisierung und Datentransparenz zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!
Autor
Tim Rohweder
Fußnoten:
2: https://www.business-humanrights.org/sites/default/files/documents/Loening_Langfassung_FINAL.pdf