Wenn Erfahrung in Rente geht – die Herausforderung der Nachfolgeregelung

Der demografische Wandel und die steigende Anzahl von Mitarbeitern, die in Rente gehen, sind nicht nur ein kapazitatives Problem für Unternehmen, viel mehr besteht die Gefahr Erfahrungen und Wissen zu verlieren. Hier ist eine strukturierte Nachfolgeregelung zur Rente gefragt. Fachkräfte aus dem Ausland anwerben und eigene Mitarbeiter oder Quereinsteiger qualifizieren sind wichtige und richtige Schritte. Doch wie werden diese am speziellen Arbeitsplatz qualifiziert, wenn die Erfahrung und das Wissen bereits in Rente gegangen sind. Und damit sind nicht die bereits dokumentierten Anweisungen oder Prozessdarstellung gemeint, hier geht es vielmehr um einzigartiges Wissen über die besonderen Gegebenheiten („das Verhalten einer Anlage“, „die Bewertung einer Auswertung“ oder „die Bestellung einer bestimmten Person“), um erfahrungsbasierte Qualifikationen.

Ohne Expertenwissen funktioniert ein Unternehmen nicht

Die Optimierung von Prozessen und in den letzten Jahren die zusätzliche Digitalisierung und Automatisierung dieser hat zu einem Expertenwissen für einzelne Prozessschritte geführt. Mitarbeiter haben sich ein einzigartiges Wissen zu einzelnen Prozessschritten aufgebaut, eine erfahrungsbasierte Qualifikation. Ein Beispiel im Einkaufsprozess ist die Bearbeitung von Freitext-Bedarfsanforderungen. Natürlich ist der Prozess beschrieben, meistens unter Nutzung eines ERP-Systems wie z.B. SAP, natürlich sind auch die Anforderungen an Inhalt und Informationen definiert für den Bedarfsanforderer, und trotzdem hilft Expertenwissen bei der schnellen Bearbeitung dieser Bedarfsanforderungen. Diese „erfahrungsbasierte Qualifikation“ entsteht durch die Erfahrungen der einzelnen Mitarbeiter. Welches Produkt genau gemeint ist, bis wann und wohin geliefert werden soll, bei welchem Lieferanten das beste Preis- Leistungsverhältnis besteht, ist selten oder nie genau dokumentiert. Und diese Kleinigkeiten beschleunigen Prozesse und die reibungslose Zusammenarbeit.

Drei Methoden zur Wissenskonservierung bei Nachfolgeregelung zur Rente

Wissensmanagement ist für viele ein zu theoretisches Modell. Vielen Mitarbeitern fällt es schwer, auf ein leeres Blatt Papier (analog oder digital) ihr Wissen, ihre Erfahrung zu schreiben. Alle Verfahren, die zur Sicherung von Wissen einen Extraaufwand bedeuten, sind zum Scheitern verurteilt. Dieses ist nicht mutwillig zu sehen, vielmehr werden solche Aufgaben gerne nach hinten priorisiert. Zum einen wollen sich Mitarbeiter nicht direkt „überflüssig“ machen durch die Weitergabe ihrer „erfahrungsbasierten Qualifikation“, zum anderen fehlt die Motivation (und häufig auch die Zeit), neben dem Tagesgeschäft ihr Wissen zu konservieren. Folgende Ansätze führen aber trotzdem zum Ziel, auch wenn wir es nicht Wissensmanagement nennen (wollen).

  1. Dokumentation von Wissen im Vorbeigehen

Mitarbeiter konservieren ihr spezifisches Wissen häufig nicht oder auf irgendeinem Zettel, weil ihnen der richtige Ort dafür fehlt. Bei vielen Mitarbeitern findet man daher einen Zettelberg neben dem Monitor oder in einer Schublade und eine Vielzahl von Office-Dokumenten mit Informationen und Wissen. Für eine Urlaubsvertretung wird ein leeres Blatt genommen und die notwendigen Tätigkeiten auf diesem gemeinsam notiert: „Bitte immer Dienstag Herrn X anrufen…“, „Bei Bedarfsanforderungen von Herrn Y immer auf das Datum achten…“, „Bei der Auswertung für Controlling den Filter Z setzen…“, usw..

So findet die Dokumentation von Wissen guerillaartig statt und ist damit nach der Urlaubsvertretung verloren. Dafür gibt es aber auch eine Vielzahl von Lösungen, von einfachen Notizsystemen mit Zuordnung zu Prozessschritten oder Personen bis hin zu internen Wikis, Notizfunktionen in den ERP-System oder anderen Collaboration Systemen. Wenn der Ort zur Speicherung vorhanden ist und die Anwendung einfach, dann nutzen die Mitarbeiter auch diesen Weg. Wissen wird so im Rahmen des Tagesgeschäftes konserviert und erleichtert die Nachfolgeregelung zur Rente.

  1. Lehrer – Selbstlerner – Methode

Wissen und Erfahrungen an eine Person weiterzugeben steckt in unseren Genen. Besonders, wenn es um den Nachfolger oder einen neuen Kollegen geht. Von „Mann-zu-Mann“ (oder Frau) können Erfahrungen einfach, schnell und während der Tätigkeiten direkt weitergeben werden. Stattet man also einen erfahrungsbasiert qualifizierten Mitarbeiter mit einem Lehrauftrag aus, nutzt man das natürliche Verhalten. Optimal ist es in dieser Konstellation, den Lernauftrag des Empfängers um die Dokumentation des erhaltenen Wissens zu erweitern. Auch hier helfen die richtigen Tools zur Konservierung von Wissen. Wenn es der erfahrene Kollege erlaubt, wieso nicht auch kurze Videos aufnehmen als Dokumentation von Prozessen.

  1. Organisationsentwicklung

Der Zeitpunkt, wenn ein leitender Angestellter kurz vor der Rente steht, ist sehr häufig auch ein optimaler Zeitpunkt, sich mit der Gesamtsituation zu beschäftigen. Sei es eine Einzelstelle, ein Team oder eine Abteilung. Nutzen Sie die Chance der sich bietenden Nachfolgeregelung zur Rente oder weitere anstehende personelle Veränderungen, um die Frage zu stellen, wie die Abläufe aktuell sind und was vielleicht optimiert werden kann. „Herr C, auf Basis Ihrer erfahrungsbasierten Qualifizierung aus den letzten Jahren, was würden Sie heute anders machen?“ schützt alle Beteiligten und lässt offen über Optimierungen diskutieren. Sehr häufig entstehen daraus Optimierungsmaßnahmen nach dem KVP oder KAIZEN Prinzip: Optimierungen von einzelnen Prozessschritten. Eine generelle Optimierung Bedarf einer höheren Flughöhe und meistens auch einen externen Impuls bis zur Fragestellung: Wird diese Stelle, dieses Team oder diese Abteilung in Zukunft noch benötigt? Gleichbleibend in beiden Fällen ist die Dokumentation des Ist-Zustandes mit allen Besonderheiten ein wichtiger Schritt.

Veränderungen frühzeitig angehen

Unabhängig von dem notwendigen Wissensmanagement oder der Methode, erfahrungsbasierte Qualifikationen zu verlieren ist nie gut für ein Unternehmen. Daher sollte man frühzeitig damit anfangen, dieses zu konservieren. Und sich nicht vertrösten lassen. Sollen Mitarbeiter ihre Qualifikation aufschreiben, werden sie es nach hinten verschieben, nach unten priorisieren. Damit ist niemanden geholfen. Die Mitarbeiter, die in Rente gehen, sollten von sich aus einem sauberen Arbeitsplatze hinterlassen wollen. Als Arbeitgeber kann man dieses nur unterstützen. Diese muss nur die Freiräume und vielleicht die richtigen Tools zur Verfügung stellen.

Oftmals ist es hilfreich, diesen Prozess durch einen externen begleiten oder leiten zu lassen. Besonders, wenn es mit einer Organisationsentwicklung einher gehen soll. ADCONIA hat in den letzten Jahren direkt und indirekt Nachfolgeprozesse, Verlagerungen und Organisationsentwicklungen in diesem Zusammenhang erfolgreich begleitet.

Autor: Oliver Kreienbrink