Oliver Kreienbrink
Resilienz-agile Organisationen mit Stabilitätskern
Die Anforderungen an jeden Einzelnen, an Teams und Organisationen steigen gefühlt in den letzten Jahren. Eine stetige Bereitschaft für Veränderungen, geringe Fehlertoleranzen und ein hohes Maß an Kommunikation (sei es direkt oder digital) gehört bereits zum Standard. Die Herausforderung für jede Organisation besteht dabei im Zusammenspiel von Stabilität (wenige Fehlerquellen und hohe Compliance), Agilität (ständige Anpassung und Optimierung) bei gleichzeitiger Resilienz (Widerstandsfähigkeit, besonders auf äußere Einflüsse). Wie kann aber eine Organisation stabil, agil und resilient sein?
Im Fitness-Bereich sind aktuell Balance-Boards sehr angesagt. Sie dienen zur Steigerung des Gleichgewichtes, trainieren Bein- und Rumpfmuskulatur sowie den Oberkörper. Es gibt sie in rund, als kleines Surfbrett oder als dicke Matte. Gemeinsam haben sie, dass es einen Stabilitätspunkt gibt, den der Anwender einnehmen kann. Durch Bewegung und Agilität kann dieser bei Verlust wiedergefunden werden. Äußere Einflüsse führen ebenfalls zum Verlust des Stabilitätspunktes.
Nach ausreichendem Training geling es dem Anwender schnell und sicher wieder in den Stabilitätspunkt zu gelangen. Durch Vergrößerung der Auflagefläche, zum Beispiel bei einem runden Balance Board ist dieses für den Anwender schneller und einfacher zu erzielen, dass Gesamtsystem aus Anwender und Balance Board ist benötigt nur wenig Agilität, um auf äußere Einwirkungen zu reagieren, ist also resilienter.
Stabilität, Agilität und Resilienz – Wie definieren sich diese Begriffe in der Unternehmenskultur?
Schauen wir uns zunächst die einzelnen Begriffe an:
Stabilität wird definiert als eine Gleichgewichtslage, die eine Standhaftigkeit gegenüber inneren und äußeren Einflüssen hat und Unveränderlichkeit von Merkmalsausprägungen aufweist.
Agilität kann als eine Form der Anpassungsfähigkeit gesehen werden. Dieses kommt häufig zusammen mit Wendigkeit, Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit von Prozessen und Organisationen. Agilität steht als nicht für Standhaftigkeit gegenüber inneren und äußeren Einflüssen, sondern vielmehr für die schnelle Anpassung an diese.
Resilienz wird beschrieben als Fähigkeit eines Systems auf Veränderungen durch äußere Einflüsse in einem Maß zu reagieren, die schnell wieder zu einer Stabilität führt.
Führt man mit Blick auf eine Organisation die Definitionen zusammen, bedeutet das, dass eine Organisation resilient ist, wenn sie durch Agilität sehr schnell wieder in eine Stabilität gelangt, wenn diese durch äußere Einflüsse aus genau dieser geworfen wurde.
Ein einfaches Beispiel: In einer Einkaufsabteilung gibt es einen hohen Automatisierungsgrad für die Bestellabwicklung. Die Grundlage dafür ist ein über Jahre entwickeltes Lieferanten- und Materialgruppenmanagement mit einem hohen Anteil an Rahmenverträgen mit leistungsfähigen Lieferanten. Eine ständige Suche nach Lieferquellen und die besten Konditionen ist für viele Artikel und Dienstleistungen nicht notwendig, der Einkauf kann sich sehr stark auf außergewöhnliche Bedarfe und die ständige Optimierung von Konditionen konzentrieren.
Die Organisation des Einkaufs weist eine hohe Stabilität aus. Jedes Mitglied kennt seine Aufgaben, die Prozesse sind klar definiert und digitalisiert, Vorgaben an Lieferantenauswahl und Einkaufsstrategie bilden den Rahmen für Entscheidungen hinsichtlich der Lieferquelle.
Kommt es jetzt zu einem äußeren, nicht vorhersehbaren Ereignis, stellt sich die Frage wie schnell die Organisation darauf reagieren kann, oder wie resilient sie ist. Ein Beispiel wäre der Wegfall eines Lieferanten, durch Insolvenz, durch Schließung oder durch Aufkauf durch einen Wettbewerber. Auch wenn dieses meistens kein Vorgang von heute auf morgen ist, nehmen wir es mal so an. Jetzt muss eine gute Organisation schnell reagieren und alternative Lieferquellen den Bedarfsträgern zur Verfügung stellen.
Stabilität durch hohe Prozesssicherheit
Grundlage für eine hohe Resilienz ist dabei eine ausgeprägte Stabilität. Im Bezug auf Organisationen zeichnet sich eine Stabilität durch eine hohe Prozesssicherheit aus. Hat eine Organisation nicht eine ausgeprägte Prozessorganisation, also eher eine „Macher“-Organisation, führt jeder externe Einfluss zu Hektik. „Macher“-Organisationen zeichnen sich durch schnelle Fehleranalyse aus und sofortigen Maßnahmen. Allerdings immer wieder neu bei jeder Störung. Lerneffekte sind gering und die Hoffnung, dass es funktioniert, ist hoch. Diese Hektik überträgt sich auf die handelnden Personen und führen zu Überforderung und Frust.
Prozessorganisationen dagegen basieren auf klaren Abläufen und einem ständigen Lerneffekt. Wenn es Prozessorganisationen schaffen, regelmäßig einen Schritt zu Seite zu machen, um bestehende Prozess zu hinterfragen und anzupassen, steigern sie ständig ihre Stabilität.
Definierte Routinen erkennen und beheben Störungen
Durch eine konstante Beschäftigung mit Prozessen und Abläufen steigert eine Organisation ihre Fähigkeit für eine Agilität. Organisationen sind besonders agil, wenn sie ihre Grundlagen, ihre Basisprozesse im Griff hat. Bei einer externen Störung greifen die bereits definierten Routinen und die volle Aufmerksamkeit kann auf die Besonderheiten der Störung gelegt werden. Dadurch werden Entscheidungen gesichert und Aufgaben und Kompetenzen eindeutig verteilt.
Durch den folgenden Side-Step Prozessoptimierung werden die Erfahrungen direkt verarbeitet und fließen in die kontinuierliche Prozessoptimierung ein. Im besten Falle ist bei der nächsten Störung die Stabilität der Prozesse schon erweitert und Routinen dafür entwickelt. Am Beispiel einer Lieferanteninsolvent sollte sich die Organisation nicht mit der Abwicklung des alten Lieferanten kümmern, das sollte Routine sein, sondern auf Basis vorhandenen Prozesse und Strukturen sich direkt mit alternativen Lieferquellen beschäftigen oder diese bereits kennen. So müssen nicht eine Vielzahl von Tätigkeiten durch Macher auf Mitarbeiter delegiert werden, sondern die Organisation einfach handeln.
Dieses Handeln bezeichnet man durch Agilität, die Fähigkeit schnell Anpassungen vorzunehmen.
Wir haben in Organisations-Workshops bereits öfters ein rundes Balance Board in die Mitte der Teilnehmer gelegt. Zuerst will kein Teilnehmer auf das Balance Board steigen, dann gibt es meistens einen Freiwilligen, der aber sofort auch Unterstützung bekommt. Helfende Schultern und Hände sichern den Aufstieg und die Findung der der Balance. Meist reicht dazu nicht eine Person, sondern drei oder vier Kollegen stellen ihre Schulter zur Verfügung.
Dazu kommen viele hilfreiche oder nicht hilfreiche Kommentare aus der Gruppe. Jeder hat eine Meinung und will helfen. Eine „Macher“-Organisation zeichnet sich so aus.
Noch nie hat eine Gruppe sich zuerst mit der Aufgabe beschäftig. Fragen nach der richtigen Person für die Aufgabe, notwendige Hilfsmittel oder den richtigen Ort für das Balance Board kommen selten oder nie. Es gibt eine Aufgabe und es wird gemacht. Und die Frage, wie man das Balance Board besser stabilisieren kann, z.B. durch eine größere Auflagefläche, ist nie Thema.
Agilität funktioniert nur durch Stabilität
Wenn sich Organisationen mit dem Thema Agilität beschäftigen, fällt der erste Blick auf das Thema Methodik. Schnell werden Mitarbeiter zu einem Scrum-Kurs geschickt, um die Methodik zu lernen. Das ist nicht falsch, aber der dritte Schritt vor dem ersten. Agilität funktioniert dauerhaft in einer Organisation nur, wenn vorher die Stabilität gewährleistet wird. Und Stabilität bedingt eine Vision, was und wie eine Organisation leisten will.
Wir bei Adconia nennen das Nordstern, also der Fixpunkt, an dem sich eine Organisation ausrichtet. Für uns ist das der erste Schritt für eine resiliente Organisation. Erst das Ziel, dann die Stabilität und die Methodik für Agilität. Dann ist die Resilienz der automatische Output.