Hat Global Sourcing nach Corona ausgedient?
Einkäufer sehen globale Lieferketten als Risikopotential und bereiten Relokalisierungs-Initiativen vor
Als ich in den 1990er Jahren für einen Weltkonzern anfing im Einkauf zu arbeiten, gab es ein neues Zauberwort: „Global Sourcing“. Es verwandelte die zuvor oft als verlängerte Buchhaltung des Lagers belächelten Einkaufsabteilungen, in international agierende Einheiten. Von reaktiv gesteuert zu strategisch ausgerichtet. Abgestimmt mit den Expansionszielen in Hinblick rasant wachsender Märkte in Asien und aus dem Boden schießender, neuer Produktionsstandorte. Im Vordergrund standen enorme Kostenpotenziale und, so schien es damals zumindest, schier unendliche Zuwächse an Fertigungskapazitäten.
In den letzten 30 Jahren sind aus den anfangs teilweise fast abenteuerlichen Lieferketten gigantische Lieferströme geworden. Im Wesentlichen mit einer Stromrichtung von Ost nach West, zumindest aus der Brille der meisten Einkaufs- und Supply Chain-Verantwortlichen in Europa und den USA.
Einschränkungen der globalen Lieferketten überraschen
Die Corona-Pandemie stellt dieses Modell auf den Prüfstand. Unterbrechung von Lieferketten bei sensiblen Komponenten in der Elektrotechnik – man denke an die Schwierigkeiten bei der Serienfertigung von Beatmungsgeräten. Wirkstoffe für Medikamente, die auch während der Pandemie dringend benötigt werden. Textilien für die Sommerkollektionen. Bauteile für die Automobilindustrie. Die Liste ist beliebig lang. Allen gemeinsam ist die öffentliche Erkenntnis der globalen Verzahnung von Lieferketten und die Abhängigkeit für die eigene Wertschöpfungskette, die damit verbunden ist. Ehrlich gesagt, es überrascht es mich schon ein wenig, dass es für manchen Politiker oder sogar Unternehmenslenker wie eine neu gewonnene Erkenntnis zu sein scheint. Mich überrascht, dass sie überrascht sind (oder vorgeben es zu sein). Die lauten Rufe nach einer gezielten „Relokalisierung“ werden lauter.
Dabei ist das Problem nicht damit verbunden, dass es „globale“ Lieferketten gibt. Zugegeben, wenn diese zusammenbrechen, dann ist die Rekonstruktion etwas zeitaufwendiger. Umgekehrt gilt aber auch, bis die Ströme aus einer globalen Lieferkette versiegen, vergehen im Durchschnitt bei den meisten Gütern aufgrund der langen Transportwege, 6-10 Wochen, bis die Lagerbestände anfangen substanziell zu schrumpfen.
Die Schwierigkeit beim Thema „Global Sourcing“ und den damit verbundenen Lieferketten ist vielmehr die leider nach wie vor viel zu oft noch vorherrschende, eindimensionale Betrachtung und Nutzung. Es war, wenn es strategisch und nachhaltig betrieben wird, immer eine Frage eines eng begleitenden Risikomanagements.
Lokale und globale Lieferketten abwägen
Globale Liefernetzwerke rein unter dem Aspekt der preislich getriebenen Kostenoptimierung betrachtet helfen sicherlich bei Quartalsberichten und manchen Jahresabschlüssen. Die preisliche Kostenoptimierung ist allerdings ein recht volatiler Hebel, wenn er nicht eingebettet ist in genau das, was der ursprüngliche Begriff „Global Sourcing“ beinhaltet: Tatsächlich eine globale Suche von Lieferquellen. Und global schließt auch die Quellen ein, die um die sprichwörtliche Kirchturmspitze herum liegen. Wir dürfen jetzt nicht der Versuchung erliegen, in blindem Aktionismus das Dogma der weitverzweigten Lieferketten einzutauschen gegen das des hauptsächlich lokal aufgestellten Lieferantenpools. Weder das eine noch das andere wird einer Risikobetrachtung unter rationalen Gesichtspunkten gerecht. Ein strategisch ausgerichtetes Risikomanagement für stabile und kosteneffiziente Lieferquellen und-Ketten hat ein (teilweise branchenspezifisches) ausgewogenes., überschaubares Set an fortlaufenden Prüfungskriterien. Sie sind ausgerichtet auf die dauerhafte Belastbarkeit des gesamten Liefernetzes. Es wird Transparenz geschaffen und Transparenz ist die zwingende Voraussetzung für die unternehmerische Risikominimierung.
Ja, wahrscheinlich werden viele Einkäufer bei der Anwendung eines ausgewogenen Risikomanagements hinsichtlich ihrer Lieferketten feststellen, dass man geographisch zu einseitig aufgestellt ist. Dass man zu wenig über die Lieferketten der wesentlichen Lieferanten weiß. Aber genau hier steckt auch die enorme Chance in der aktuellen Situation. Nicht ein blinder Aktionismus, der von global auf lokal (Relokalisierung) schwenkt. Sondern das Nutzen der vorhandenen Quellen und die Rückkehr zu einem wirklichen „Global Sourcing“ – der transparenten, ausgeglichenen Nutzung aller verfügbaren Lieferanten – egal ob 8.000 Seemeilen entfernt oder 35 Kilometer im Nachbarkreis.
Es war immer eine herausfordernde Aufgabe globale Lieferketten aufzubauen. Wer es professionell und strukturiert mit einem GLOBALEN Fokus betriebt, steigert nicht das Risiko, sondern vermindert es nachhaltig und erfolgreich!
Gregor van Ackeren
Managing Director, ADCONIA