Online-Handel

Ist der Kunde künftig nur noch durch Online-Handel erreichbar?

Vernetzt, individuell, erlebnisorientiert. Das sind drei Schlagwörter, die die Vermischung der Konsumentenwelten on- und offline aktuell beschreiben. Viele Experten fordern aktuell, die Chance zu nutzen, ein neues Kundenverständnis aufzubauen und Kunden in die Onlinewelt und Online-Handel zu übernehmen. Dieses Thema wird aktuell zudem intensiv in der Literatur diskutiert, wie beispielsweise im aktuellen Buch „Retail isn’t dead“ von Matthias Spanke.

Langweiliger Handel wirkt tot und viele Retailer gehen in einem Meer von Gleichförmigkeit unter. Die Kunden suchen das Besondere. Wie kann dies aussehen? Die Antwort: digital unterstützt, kundenfokussiert, mobil, persönlich, verbunden, einprägsam und radikal.

Funktioniert dies in der Realität? Sicher gibt es heute schon positive Leuchtturm-Beispiele. Der „Neiman Marcus Flagship Store“ in New York City verbindet die digitale und persönliche Welt. Je nach Standort im Laden werden auf Leinwänden schnell erfassbare Informationen oder längere Unterhaltungsbeiträge angezeigt. Die Umkleiden sind digital verknüpft: steuerbares Licht mit sprachgesteuertem Spiegel. Und im Sinne der Nachhaltigkeit existiert sogar eine Secondhand-Abteilung, Beauty Services runden dann das Shoppingerlebnis ab. Wenn Sie das nächste Mal in Hamburg sind, schauen Sie auf der Mönkebergstraße einmal in den Retail Connect Store von Bon Prix und finden einen Onlineshop im Offline-Umfeld.

Einen neuen Weg in Richtung der Individualität und Verbindung von Online-Handel mit Offline hat Nordstrom in Nordamerika mit seinen Local-Concept-Stores gefunden. Denn dies sind Läden ohne Ware, in denen online gekaufte Produkte abgeholt, anprobiert oder zurückgegeben werden können. Dazu gibt es Services wie Beratung, Reparaturen oder an den Standort angepasste Dienstleistungen.

Um die Kunden der Zukunft (Generation Z) zu gewinnen, ist es unabdingbar, on- & offline, Hightech und Haptik zu verbinden. „Mehr als die Hälfte unserer Shop-Verkäufe haben irgendwo im Prozess eine Onlinekomponente, und mehr als ein Drittel unserer Online-Verkäufe beinhalten eine Shop Erfahrung.“ (Erik Nordstrom). Jedoch ist es eine große Herausforderung, diese Käuferschaft zu gewinnen: Das neue wertvolle Gut im Handel lautet Aufmerksamkeit. Nur wer Aufmerksamkeit wecken kann und sich aus der Masse abhebt, gewinnt. In vielen wissenschaftlichen Sozialstudien wird aktuell das Phänomen der reduzierten Aufmerksamkeitsspanne beobachtet, was gemeinhin als Nebeneffekt des Information-Overload von Kunden angesehen wird.

Online-Handel und Offline-Kunden. Geht das zusammen?

Was macht es dem stationären Handel so schwer, den Herausforderungen positiv entgegenzutreten? Einerseits die innere Haltung, E-Commerce noch immer als Konkurrenz zu verstehen, denn eigentlich kann man es als Inspiration und wertvolle Informationsquelle sehen. Die Kunden lernen neues Kaufverhalten im Online Handel und setzen diese Erwartung nun auch an den stationären Handel: Geschwindigkeit, Bequemlichkeit und Erreichbarkeit. Sie schätzen dabei Vorteile wie schnelle Produktsuche, hilfreiche Kundenbewertungen, Echtzeitbestände auf Knopfdruck, schnelle Bezahlvorgänge und bequeme Lieferung. Doch eines bleibt online immer versagt: das Store-Erlebnis. Denn ein Store kann über den reinen Kauf hinaus einen Mehrwert schaffen.

Das klingt nach einer zu einfachen Formel, um realistisch zu sein? Anhand eines konkreten Beispiels lässt sich diese Formel jedoch aufzeigen. Ein Vorteil des Onlinehandels, wenn man die neue Generation Kunden befragt, ist die Möglichkeit, Communities zu schaffen. Egal ob diese Produktempfehlungen aussprechen oder sich rund um den Kern des Produktes bewegen (als ein Leuchtturmbeispiel sei hier die Mammut und ihre App Entwicklung genannt). Ältere Generationen werden den Kopf schütteln und auf die Wurzeln von Gemeinschaften verweisen, die schon immer ein persönlicher Kontakt waren. Jedoch kann der Online-Community-Gedanke in den stationären Handel integriert werden, hier sind die großen Konzerne wieder ein leuchtendes Beispiel: egal ob Apple mit kostenfreien Schulungen Today@Apple oder Nike mit Spielfeldern im Store, um die neuen Schuhe zu testen, bis hin zu American Eagle mit einem integrierten Waschsalon und Coworking Space.

Neue Technologien verbinden Kundenerwartungen zu Kundenerlebnissen

Technologien und die digitale Transformation werden schnell zu einem Kernpunkt der modernen Ladengestaltung. Nicht wenige haben die Abkürzungen AR, VR, AI und RFID sicherlich schon gehört, jedoch bleiben es für viele immer noch kryptische Begriffe. Die erweiterte Realität (Argumented Reality / AR) gibt die Möglichkeit, in einem „Magic Mirror“ ohne das lästige Umziehen die neusten Sachen anzuprobieren oder auch Kosmetik ausprobieren, ohne diese auf der Haut zu verteilen. Mit Virtual Reality lassen sich komplette Welten schaffen: die neuen Sneaker konfigurieren und an den Füßen tragen oder auch eine virtuelle Testfahrt im neu konfigurierten Auto machen. Artifical Intelligence (AI), also künstliche Intelligenz (auch KI), ist nur nutzbar, wenn ich eine entsprechende Datenerfassung über Navigation des Kunden über Flächen – wo bleibt er wie lange und was kauft er schließlich – sammeln kann. Dann kann AI helfen, das Kundenverhalten zu prognostizieren, beste Positionierung und Promotion vorauszusagen und das optimale Verhältnis von Warenmenge, Lagerraum und voraussichtlicher Nachfrage zu bestimmen. Radio-Frequency identification ist eine massive Erleichterung der Services im Stores und mittlerweile sogar relativ kostengünstig. Es erhöht die Bestandsgenauigkeit auf 98% und teilweise sogar darüber hinaus und dies in Echtzeit. Dadurch können Nachfüllprozesse gezielter stattfinden und ermöglicht auch noch die vereinfachte Lieferung des Onlinekunden aus dem Store (easy pick).

Die aktuelle Diskussion um die Nachhaltigkeit offenbart eine auf den ersten Blick vermeintlichen Nachteil des stationären Handels. Der ökologische Fußabdruck und somit auch der Energieaufwand des Verkaufs dürfte um einiges höher sein, als beim Onlineverkauf, dem Online-Handel. Aber dafür kann der stationäre Handel seinen Nachhaltigkeitsstempel anfassbar für den Kunden machen, der dies online nur versprochen bekommt. In erster Linie geht es um Transparenz und dies kann der stationäre Handel auch schon im Store Design berücksichtigen. Egal ob über regional nachwachsende Rohstoffe, Recycling Angebote, Wiederverwendung und Abfallvermeidung. Also indem ein Zugang geschaffen wird, bei dem keine weitere Barriere des Transportes anfällt, kann man im stationären Handel die Themen Leihen, Wiederverkaufen, Umgestalten oder auch Recycling im direkten Austausch mit dem Kunden gestalten. Abo- oder Mietmodelle wie „American Eagle Style Drop“ machen in diesem Umfeld sehr viel Sinn. Nachhaltigkeit wird kein kurzfristiger Trend sein und auch kein Hype. Damit muss sich jetzt jeder in der Kette zum Endkunden beschäftigen.

 

Rainer den Ouden

Partner, ADCONIA GmbH

Sinja Krauskopf

Consultant, ADCONIA GmbH