2021 – Mit diesen Themen beschäftigen sich die Top-Einkaufsabteilungen

Das vergangene Jahr hat uns alle vor enorme Herausforderungen gestellt – ob privat oder beruflich. Glücklich kann sich schätzen, wer in der Lage war sie zu meistern. Wir sind Zeuge historischer Momente geworden, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Sogenannte Tiefenkrisen. Die Welt, wie wir sie bis Februar 2020 kannten, löst sich gerade auf. Dahinter fügt sich eine neue Welt zusammen. Die Aufgabe für die Führungspersönlichkeiten von heute ist, ihre Formung zu erahnen. Das Augenmerk muss daher auf die unmittelbar kommenden Herausforderungen und Aufgaben gerichtet sein. Doch welche werden das in den Bereichen Einkauf und Supply Chain sein?

In der Vergangenheit wurden Chief Procurement Officer vor allem an ihrer Fähigkeit gemessen, Einsparungen in der Wertschöpfungskette zu ermöglichen. Ohne Frage bleibt die Kostensenkung auch in Zukunft noch entscheidend. Aber mit dem Aufkommen digitaler Netze, sind Einkäufer in der Lage, einen deutlich größeren Mehrwert zu generieren. Mit Netzwerken und Innovationen im Rahmen der rapide sich entwickelnden „Künstlichen Intelligenz“ (KI) und dem „Internet der Dinge“ können CPOs Einblicke aus einer Vielzahl von scheinbar zusammenhangslosen Daten gewinnen und sich auf strategische Prioritäten, wie die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Lieferkette, den Schutz der Marke vor Risiken durch Dritte und die Erschließung neuer Innovationsquellen konzentrieren.

Die folgenden Themen werden daher aus unserer Sicht die führenden Einkaufs- und Supply Chain Abteilungen in den kommenden Quartalen beschäftigen.

Hat Global Sourcing nach Corona ausgedient?

Eine neue Studie zu den Auswirkungen von Corona auf das Supply Chain Management lässt eine klare Tendenz „zurück nach Europa“ erkennen1. Rund zwei Drittel der 250 befragten deutschen Unternehmenslenker und Supply-Chain-Experten sind laut Studie der Ansicht, dass die Bedeutung der europäischen und nationalen Beschaffungsmärkte wachsen wird.

In Bezug auf den Begriff des „Global Sourcing“ ist das aus unserer Sicht kein Widerspruch. Global schließt schließlich auch die Quellen ein, die um die sprichwörtliche Kirchturmspitze herum liegen. Es wäre allerdings ein Fehler, in blindem Aktionismus das Dogma der weitverzweigten Lieferketten einzutauschen, gegen das des hauptsächlich lokal aufgestellten Lieferantenpools. Weder das eine noch das andere wird einer Risikobetrachtung unter rationalen Gesichtspunkten gerecht.

Das Ziel muss sein, Transparenz innerhalb der Lieferketten zu schaffen – eine systematisierte Transparenz ist die zwingende Voraussetzung für eine nachhaltige unternehmerische Risikominimierung.

Ja, wahrscheinlich werden viele Einkäufer bei der Anwendung eines ausgewogenen Risikomanagements hinsichtlich ihrer Lieferketten feststellen, dass man geographisch zu einseitig aufgestellt ist und zu wenig über die Lieferketten der wesentlichen Lieferanten und ihrer Vorlieferanten weiß. Aber genau hier steckt auch die enorme Chance in der aktuellen Situation. Nicht ein blinder Aktionismus, der von global auf lokal (Relokalisierung) schwenkt. Sondern das Nutzen der vorhandenen Quellen und die Rückkehr zu einem wirklichen „Global Sourcing“ – der transparenten, ausgeglichenen Nutzung aller verfügbaren Lieferanten – egal ob 8.000 Seemeilen entfernt oder 35 Kilometer im Nachbarkreis. In Hinblick auf eine notwendige Gesamtkostenbetrachtung, Bestandsmanagement und Liquidität werden hierbei positive Auswirkungen zu erwarten sein.

Nachhaltigkeit sticht Pandemie?

Auf dem Weg zum „new normal“ schafft es die Nachhaltigkeit zurück in die Trending Topics. Die Themen Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung und Social Compliance werden immer wichtiger. Sie werden vom Markt, vom Verbraucher und von der Politik eingefordert. Dies hat verschiedene Gründe: einerseits gibt es die großen Diskussionen in Deutschland um die neue Gesetzgebung zu Lieferketten („Lieferkettengesetz“), anderseits gibt es führende Unternehmen, wie Volkswagen oder auch andere Unternehmen der Mode-, Automobil- und Lebensmittelindustrie, die klare Aussagen und mehr oder weniger ehrgeizige Ziele in Hinsicht auf Ihre Klimaneutralitätsziele, konkrete Maßnahmen, innovative & nachhaltige Produkte kommuniziert haben.

Des Weiteren ist das Thema Nachhaltigkeit durch zunehmend strenger werdende gesetzliche Vorgaben auf nationaler und EU-Ebene längst nicht mehr nur eine Angelegenheit für Public-Relations-Abteilungen und zivile Aktivisten, sondern es wird ein integraler Bestandteil der unternehmerischen Tätigkeit.

Ein Beispiel dafür sind die Maßnahmen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung und der damit verbundenen Bepreisung des Ausstoßes von Treibhausgasen. Wie gehen Sie also kurz-, mittel- und langfristig mit diesem Risiko um? Wie lauten Ihre Klimaziele und die Klimaziele Ihrer Kunden?

Natürlich ist es schwierig diese Frage pauschal oder gar abschließend zu beantworten, da eine Vielzahl von unbekannten Parametern mitspielt. Welche Maßnahmen in Ihrem Unternehmen getroffen werden müssen, hängt von der Wertschöpfungskette Ihrer Produkte ab, unter Anderem den Bezugsländern Ihrer Rohstoffe und Zukaufteile, sowie eines Kosten- und CO2-optimalen Energie-Mix für die eigenen Produktionsleistungen. Es ist beispielsweise einfacher, Klimaneutralität mit Lieferketten aus einem Land zu erreichen, das mit erneuerbaren Energien arbeitet.  Entscheidend ist für Sie die zielgerichtete Entwicklung einer diesbezüglichen Nachhaltigkeits-Strategie für Ihr Unternehmen.

Ob regional oder global – Kontrolle und Transparenz über Beschaffungsketten/-netze ist essenziell

Wie die vorangegangenen Absätze eindrucksvoll zeigen, wird die Kontrolle und Transparenz über Beschaffungsketten/-netze von absolut erfolgskritischer Bedeutung sein. Und das nicht nur auf Grund der anstehenden gesetzlichen Regelungen.

Bereits in der Vergangenheit berichteten wir über das geplante Lieferkettengesetz (Unser Beitrag dazu hier) der Bundesregierung. Ein Regelwerk mit Vorgaben zu verbindlichen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz ist angedacht, das Unternehmen zur Analyse, Vorbeugung und Dokumentation der Einhaltung dieser innerhalb ihrer globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten verpflichten wird.

Aus unserer Sicht ergibt sich mit diesem Thema, wenn es proaktiv angegangen wird, vielmehr eine große Chance für bereits heute verantwortungsbewusst handelnde und im Einkauf und der Supply Chain methodisch gut aufgestellte Unternehmen. Eine gesetzliche Verpflichtung würde einen weiteren Wettbewerbsvorteil gegenüber unlauter agierenden Unternehmen bedeuten. Alle Marktteilnehmer wären dann gesetzlich dazu verpflichtet, sich nicht nur im Inland, sondern auch im internationalen Kontext und insbesondere in ihrem Einkaufsverhalten an Menschenrechte und Umweltstandards zu halten und entsprechende Dokumentationen vorzuhalten.

Unternehmen, die sich bereits nachweislich für Menschenrechte und Umwelt in ihrem Einkaufsverhalten engagieren, können zudem weitere wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen. So kann es für sie leichter sein, Investoren zu gewinnen, in sogenannte „faire Fonds“ aufgenommen werden oder leichter qualifizierte Mitarbeiter rekrutieren, die sich bewusst für einen Arbeitgeber entscheiden, mit dessen Wertekanon sie sich selbst identifizieren können. Auch sorgt ein solches Engagement vor allem für ein größeres Vertrauen auf Konsumentenseite.

Durch den Einsatz einiger der ihnen heute schon zur Verfügung stehenden Technologien kann der Einkauf schnell aus den in den Lieferketten verfügbaren Daten aussagekräftige Erkenntnisse ziehen, um intelligentere Entscheidungen zu treffen, die Unternehmen nicht nur voranbringen, sondern auch in der Welt um sie herum einen messbaren Unterschied hervorrufen.

Der Einkauf kann Erkenntnisse aus Beschaffungsdaten und bisher unstrukturierten Informationen kombinieren, um Kunden- und Marktanforderungen vorherzusagen und darauf reagieren zu können. Oder er kann die Stücklisten der Produkte und Dienstleistungen, die hergestellt und gekauft werden, bis hinunter zu ihren Rohstoffen abbilden und diese Informationen mit bekannten Hotspots, in Bezug auf compliancerelevante Rahmenbedingungen, vergleichen.

Dadurch sind Unternehmen in der Lage, das Risiko zu bestimmen und entsprechende Maßnahmen zu definieren, um diese zu mindern. Dadurch wird eine Lieferkette möglich, die verantwortungsvoller, nachhaltiger und integrativer ist. Ein klarer Wettbewerbsvorteil der sich sowohl auf der Kostenseite als auch aus Kundensicht darstellen lässt.

Inwieweit etabliert sich Blockchain in der Praxis als Lösungsinstrument?

Blockchain in Procurement soll genau das bewirken – die Transparenz von Lieferketten erhöhen, Sicherheit verschaffen und große Datenmengen strukturieren. Doch wird das in der Praxis zukünftig zuverlässig und vor allem effizient funktionieren? Auch wenn man das bestechende Konzept hinter der Blockchain bereits verstanden hat, ist diese Frage nicht ganz so einfach zu beantworten.

Betrachten wir mit den Supply-Chains der frühen Corona-Impfstoffe ein absolut aktuelles Beispiel: Einige Impfstoffe müssen bei minus 70 Grad Celsius und mehr gekühlt werden. Diese gesamte Supply Chain kontinuierlich temperaturkontrolliert und gekühlt zu halten, ist eine Herkulesaufgabe – nicht nur in warmen Regionen wie etwa in Afrika.

Die Einhaltung eines bestimmten Temperaturniveaus ist aber für viele Produkte erforderlich – das gilt nicht nur für Impfstoffe. Firmen müssen eine vollständige Überwachung der Lieferkette sowie eine Rückverfolgbarkeit der Produkte jederzeit garantieren können. Zudem sind Herkunftsinformationen über Standorte und Supply Chain-Partner hinweg relevant.

Die Blockchain Technologie und entsprechende Plattformen ermöglichen es, die für diese Entscheidung relevanten Informationen zuverlässig und fälschungssicher zu generieren, verifizieren, verfolgen und auf breiter Basis am Ende auch dem Konsumenten zur Verfügung zu stellen (Unser Beitrag dazu hier).

Allerdings ist die Entwicklung einer Blockchain (in Procurement) aktuell immer noch relativ kostenintensiv und aufgrund der extrem hohen erforderlichen Serverleistungen mit einem hohen Energiebedarf verbunden. Wie bei so vielem ist also auch beim Einsatz von Blockchain abzuwägen: Wie groß ist der Nutzen für alle Beteiligten, und wie hoch sind die Kosten der Implementierung? Für welche Anwendungsgebiete stellt der Einsatz dieser Entwicklung einen ganzheitlichen unternehmerischen Vorteil dar? 

Harmonisierung der digitalen Arbeitsumgebungen

Viele unserer Kunden im Mittelstand stützen sich auf mehrere, manche im Konzernumfeld auf eine zweistellige Zahl ERP-Systeme. Schon vor der Pandemie traten die Ineffizienzen dieser selbstgemachten, parallel arbeitenden Silos zutage. Covid-19 hat die Ineffizienz noch verstärkt. Das Nebeneinander der Systeme stockt z.B. regelmäßig Bestandspuffer künstlich auf, verursacht kostspielige Informationsverzögerungen und bringt hohe IT-Kosten für Schnittstellen, Wartung und Upgrades mit sich.

Klare Aufgabenstellung für die Zukunft sollte sein, diese Silos sukzessive einzureißen. Der Aufbau der dafür notwendigen Digitalisierungsstrategie und der entsprechend notwendigen Tools wird eine maßgebliche Aufgabe der Führungsebenen sein.

Eine zentrale Aufgabe ist, den historisch gewachsenen Wildwuchs an Prozessen und manuellen Hilfswerkzeugen zu sichten und zu lichten. Für eine Vielzahl von wiederkehrenden Geschäftsvorfällen haben sich über die Jahre individuelle Prozesse etabliert, teilweise sogar personenabhängig. Und meistens so individuell, dass die damit verbundene Anpassung des ERP  in keinem vertretbaren Kosten-Nutzen Verhältnis steht.

Der wichtigste Optimierungsschritt lautet daher: Vielfalt reduzieren.

Für einige Bedarfsarten gibt es spezialisierte, sehr gute Softwarelösungen. Die sicher einfachste Methode, um individuelle Prozesse abzubilden, sind Workflow-Builder, oder auch low code Platforms genannt. Bei diesen können Prozesse als interaktiver Workflow abgebildet werden, ohne große Programmierkünste anzuwenden (Unser Beitrag dazu hier).

Ohne low code Platforms wäre der Aufwand früher sicher enorm gewesen. Mit ein wenig Erfahrung lassen sich viele kleinere Problemstellungen heute innerhalb kurzer Zeit effizient lösen.

Automatisierung – Was kann KI für SCM tun?

Unternehmen, die auf die Situation im Jahr 2020 reagieren, werden Prozesse stärker automatisieren und versuchen, die Vorteile Künstlicher Intelligenz zu nutzen, um Effizienzgewinne zu erzielen. Ziel ist, die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu erhöhen, gerade auch dann, wenn die physische Präsenz verantwortlicher Mitarbeiter nur eingeschränkt möglich ist.

Um die vielfältigen Einflüsse auf die Versorgungssicherheit eines Unternehmens im Blick zu behalten, benötigen Einkaufsabteilungen beispielsweise ein effektives Risikomanagement. Der Einkauf wird dadurch in die Lage versetzt, frühzeitig auf Risiken reagieren zu können, Schaden für das Unternehmen abzuwenden und Versorgungssicherheit durch Risikomanagement zu gewährleisten. Notwendig dafür ist ein allgemeines Risikoverständnis, klar definierte Meldeprozesse und eine umfassende Transparenz über Lieferanten, Prozesse, Warengruppen und Produkte. Erkannte Risiken müssen stets zu adäquaten Maßnahmen führen und zu einem begleitenden Monitoring.

Versorgungssicherheit im stetigen Abgleich mit einem schlanken und effizienten Risikomanagement erfordert de facto trotzdem die ständige Überwachung einer Vielzahl von Daten, um aktuelle und potenziellen Risiken frühzeitig zu erkennen. Eine manuelle Überwachung all dieser Risikoquellen aber blockiert Ressourcen im Einkauf, die für strategische und mehrwertschöpfende Tätigkeiten verwandt werden könnten.

Aus diesem Grund verwenden moderne Supply Chain Risk Tools Künstliche Intelligenz, die auf Basis von hinterlegten Parametern Echtzeitinformationen über Logistikketten sammeln und diese gemäß den Risikokriterien zu bewertbaren Informationen verdichten. Ohne aktives Zutun werden die Einkäufer automatisch über relevante Risiken benachrichtigt, Handlungsoptionen aufgezeigt, so dass  sie proaktiv und effizient handeln können.

Risikomanagement wird zum absoluten Erfolgsfaktor

Diese oben beschriebene Form automatisierter Risikomeldung kann allerdings niemals alleinstehen. Vielmehr muss sie eingebettet sein in ein strukturiertes, unternehmensübergreifendes und von der Geschäftsleitung angetriebenes ganzheitliches Risikomanagement.

Im Vorteil sind daher aktuell die Unternehmen, die wie ebenfalls oben beschrieben, eine transparente Lieferkettenstruktur aufgesetzt haben und diese mit wenigen, aussagekräftigen KPIs steuern.

Zwar verhindert auch das effizienteste Risikomanagement nicht, dass es zu schwerwiegenden Verschiebungen von sicher geglaubten Sourcing-Vorteilen kommen kann. Aber es trifft die Unternehmen mit einem aktiven Risikomanagement in Einkauf und Supply Chain nicht unvorbereitet und gibt den Verantwortlichen in aller Regel die notwendige Zeit, proaktiv Gegenmaßnahmen zu definieren und umzusetzen. Ein Wettbewerbsvorteil resultiert hieraus dann allemal.

Bereiten Sie sich vor! – Die Zeiten ändern sich von allein.

Das ablaufende Jahr hat uns zwar gezeigt, dass man nicht auf alles vorbereitet sein kann. Dass die oben genannten Herausforderungen auch in der neuen Normalität über kurz oder lang den Erfolg von Einkaufsabteilungen beeinflussen werden, ist allerdings sicher.

Welche Themen Sie auch immer diskutieren möchten – in einem unverbindlichen Sparring oder mit konkretem Ansatz – wir stehen Ihnen gerne zum Austausch zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!

Wir wünschen Ihnen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2021. Bleiben Sie gesund!

Tim Rohweder

Fußnoten:

1https://logistik-heute.de/news/scm-studie-sieht-zurueck-nach-europa-als-beschaffungstrend-30594.html